1886 nahm die nach dem Bayernkönig Ludwig II. benannte Schachtanlage König Ludwig die Förderung auf. Mit ihr entstand westlich der Bochumer Straße, zwischen Bruch / Recklinghausen-Süd und Röllinghausen das „Ludwigviertel“.
Um das neue Wohngebiet zu erschließen, regte die Stadt Recklinghausen den Bau einer Straßenbahnlinie an. Ziel war es, den vor allem in Polen für die Beschäftigung im Bergbau angeworbenen Arbeitskräften, ein attraktives Wohnumfeld zu bieten.
Für den Anwerbeprozess wurden 1909 sogar Postkarten gedruckt. Auf ihnen sah man unter anderem die modernen Wohnhäuser in der Brucherstraße: Das Foto entstand in Höhe der heutigen Kreuzung von Marien- und Overbergstraße (Postkarte ohne Verlagsangabe – Sammlung Ludwig Schönefeld):
STÄDTISCHES INVESTMENT
Die anfangs 2,77 Kilometer lange Strecke wurde auf Kosten der Stadt Recklinghausen gebaut. Sie verlief in nördlicher Seitenlage über die König-Ludwig-Straße, dann in östlicher Seitenlage über die Schulstraße (ab 1926 Overbergstraße) bis zur Brucherstraße (ab 1926 Marienstraße) nach Röllinghausen.
Ausweichen gab es in der ersten Betriebsphase nicht. Für den Betrieb wurde bei zehn Minuten Fahrzeit pro Richtung ohnehin nur ein Triebwagen benötigt. Dieser wurde von der Recklinghausener Straßenbahn gestellt. Für morgens und abends notwendige Überführung vom Betriebshof Recklinghausen nach Recklinghausen wurde eine entsprechende Vereinbarung mit der Straßenbahn Herne – Recklinghausen getroffen.
BETRIEBSAUFNAHME
Am 30. August 1914 ging die Linie 5 zwischen der Bochumer Straße in Recklinghausen-Süd und Röllinghausen in Betrieb. Der auf der neuen Strecke eingesetzte Pendelwagen stellte im 20-Minuten-Takt den Anschluss an die Linie von Herne nach Recklinghausen her.
Die Endstelle der Röllinghauser Linie lag „stumpf“ vor der querenden Bochumer Straße in der König-Ludwig-Straße. Die Verbindung mit dem Gleis der Straßenbahn Herne – Recklinghausen wurde von Süden hergestellt. Das Überstellgleis wurde östlich vom Endstellenstumpf in das Streckengleis der Röllinghauser Linie eingefädelt.
Bereits nach kurzer Betriebszeit wurde die Linie 1916 eingestellt. Ursächlich dafür war der durch den Ersten Weltkrieg ausgelöste Personalmangel. Der Verkehr ruhte bis 1925.
Das Beitragsbild (Verlag Cramers Kunstanstalt, Dortmund – Sammlung Ludwig Schönefeld) ist eines der seltenen Bilddokumente, die die Anfänge der Straßenbahn in Röllinghausen dokumentieren. Die fotografische Vorlage für die Postkarte entstand in der Schulstraße.
IM GEMEINSCHAFTSVERKEHR
Ungeachtet der brach liegenden Gleise im Ludwigvierel planten die Vestischen Kleinbahnen Anfang der 1920er-Jahre eine neue Linie von Recklinghausen über Stuckenbusch, Hochlarmark und Recklinghausen-Süd nach Suderwich. Gleichwohl: die Finanzierung bereitete dem Unternehmen große Probleme.
Zeitgleich propagierte der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) die Einführung von Gemeinschaftslinien. Dies auch, um zuvor unrentable Strecken wirtschaftlich zu nutzen. In diesem Kontext reifte der Plan, unter Nutzung der brach liegenden Röllinghausener Strecke einen Gemeinschaftsverkehr der Vestischen Kleinbahnen und der Westfälischen Straßenbahn GmbH auf der Relation Gerthe – Herne – Horsthausen – Röllinghausen – Recklinghausen anzubieten.
Die Stadt Recklinghausen war bereit, ihre ehemalige Pachtstrecke im Ludwigviertel an die Vestischen Kleinbahnen zu verkaufen. Nach den notwendigen Reparaturen an Gleisen und Fahrleitungen, der Anlage einer neuen Ausweiche an der Zeche Ludwig und der Herstellung einer Verbindung zur Westfälischen Straßenbahn über die Brucherstraße konnte die durchgehende Linie von Gerthe über Herne, Horsthausen und Röllinghausen nach Recklinghausen-Süd am 18. September 1925 (nach anderen Quellen bereits am 16. Mai 1925) in Betrieb genommen werden.
VORLEISTUNG IN DER BOCHUMER STRASSE
Der Plan, eine Verbindung von Recklinghausen über Hochlarmark und Recklinghausen-Süd nach Suderwich zu schaffen, wurde dennoch weiterverfolgt. Obwohl es weiterhin Unsicherheiten bezüglich der Finanzierung durch amerikanische Investoren gab, nutzte man den 1926 anstehenden zweigleisigen Ausbau der Bochumer Straße in Recklinghausen-Süd für vorbereitende Gleisarbeiten: So wurden doppelgleisige Abzweige in die Marienstraße und in die Hochlarmarkstraße angelegt. In der Hochlarmarkstraße wurden die Gleise sogar bis zur Schachtanlage Recklinghausen weitergeführt.
Dabei sollte es bleiben: Von der geplanten Verbindung wurde nur das westliche Teilstück Recklinghausen – Stuckenbusch – Hochlarmark – Bahnhof Recklinghausen-Süd realisiert: Am 15. Februar 1934 wurde die rund acht Kilometer lange Neubaustrecke als Linie 9 eröffnet. Sie blieb bis zum 30. März 1963 in Betrieb.
Die doppelgleisigen Abzweige in der Bochumer Straße sowie die Gleise in der Hochlarmarkstraße wurden 1942 entfernt.
Zwischen Suderwich und Recklinghausen-Süd wurden in den 1930er-Jahren Omnibusse eingesetzt. Einen dieser Wagen mit MAN-Fahrwerk und Trutz-Aufbau sehen wir in der Ausschnittvergrößerung einer Mehrbildkarte aus Suderwich. Das in der Vorkriegszeit aufgenommene Motiv zeigt die Kreuzung von zwei Straßenbahnwagen der Linie 3 in der Ausweiche Ehlingstraße. Der Omnibus steht in der Schulstraße.
VON DER LINIE C ZUR NEUEN LINIE 5
Im Zusammenhang mit dem zweigleisigen Ausbau der Straßenbahn in Recklinghausen-Süd wurde auch ein doppelgleisiger Abzweig in die König-Ludwig-Straße angelegt. Die Linie C konnte so am 1. März 1927 bis zum Viehtor in Recklinghausen verlängert werden.
1928 wurde die Linie C über den Hauptbahnhof in Recklinghausen hinaus bis zum Stadtgarten weitergeführt. Dabei nutzte sie die am 29. August 1915 eröffnete Strecke von Recklinghausen nach Marl, vermutlich bis zum Ende des zweigleisigen Ausbaus in Höhe des Städtischen Saalbaus.
Die Verbindung zum Stadtgarten hatte bis zum 31. März 1930 Bestand. Vom 1. April 1930 an lag die Endstelle wieder in der König-Ludwig-Straße. Der Gemeinschaftsverkehr wurde 1932 aufgegeben. Die Linie C der Westfälischen Straßenbahn wurde bis Horsthausen verkürzt, die Strecke von Recklinghausen-Süd nach Röllinghausen war als neue Linie 5 fortan eine Stadtstrecke der Vestischen Kleinbahnen.
Die aus dem Betriebshof Recklinghausen ein- und ausrückenden Wagen nutzten auf Basis entsprechender Vereinbarungen die Gleise der Straßenbahn Herne – Recklinghausen. Deren Betriebsführung lag bereits seit Juni 1923 bei der Vestischen Kleinbahnen GmbH.
NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam die Linie 5 auf der Relation Recklinghausen-Süd – Röllinghausen wieder in Betrieb. Ab Anfang 1954 fuhr sie bis zum Recklinghausener Hauptbahnhof. Mit Beginn des Sommerfahrplans 1954 übernahm die „5“ von der ehemaligen Linie 13 Recklinghausen Hauptbahnhof – Nordcharweg den nördlichen Streckenast.
Bei der Ertüchtigung der Gleisanlagen im Jahr 1925 hatte man hinter der Weiche nach Horsthausen im Vorgriff auf die geplante Verbindung nach Suderwich ein 200 Meter langes „Nebengleis“ in der damaligen Brucherstraße verlegt. Dieses Gleis wurde jetzt als neue Endstelle Merveldtstraße wiederbelebt.
Hier entstand am 19. März 1966 das am Ende dieses Kapitels eingestellte Foto von Wolfgang R. Reimann. Der Betrieb wurde mit drei Solotriebwagen, zumeist modernen Aufbau-Triebwagen im 30-Minuten-Takt durchgeführt. Die Zugkreuzungen fanden auf den zweigleisigen Streckenabschnitten zwischen Recklinghausen-Süd und der nördlich des Hauptbahnhofs liegenden Haltestelle Börster Weg statt.
PARADESTRECKE FÜR SOLO-TRIEBWAGEN
Über 15 Jahre pendelten nun bevorzugt die Aufbauwagen der Vestischen Straßenbahnen GmbH auf der „5“. Die Fahrgastzahlen jedoch nahmen ab. Das führte am 27. Mai 1969 zur Umstellung auf Omnibusse. Den Streckenabschnitt vom Recklinghausener Hauptbahnhof zum Nordcharweg hatte am 1. März 1969 die Linie 1 (Recklinghausen – Wanne-Eickel) übernommen. Sie wurde am 16. November 1975 eingestellt.
Die Schachtanlage König Ludwig I / II, die einst zum Bau der Straßenbahn in das Ludwigviertel geführt hatte, hatte bereits 1963/64 die Kohleförderung eingestellt.